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image: Hyäne- Sketch by "Космика" Berlin 2023 (artificial intelligence) Kosmika (Pseudonym) - Copyright imagofeminae 2023 # XXXV - LITERATURE - FEMINIST LITERATURE
Die weibliche Mittäterschaft
und
das Geschlechtermissverhältnis
Christina Thürmer-Rohr und Ingeborg Bachmann
eine Engführung oder zur Überschneidung der führenden Stimmen im deutschsprachigen feministischen Diskurs
von Dr. Sandra Boihmane
Von ersten und letzten Dingen
Ingeborg Bachmann wurde 1925 geboren und gehört zu den bekanntesten und einflussreichsten deutschsprachigen Dichterinnen und Schriftstellerinnen der Nachkriegszeit. Bereits als Schülerin las ich ihre ins Lettische übersetzten Erzählungen aus dem Erzählband mit dem Titel Trīs ceļi līdz ezeram (Drei Wege zum See, 1980), die den Weg in die sowjetische Bibliotheken gefunden haben. Die Erzählung „Simultan“ („Sinhroni") prägte sich tief in mein Gedächtnis. Während der Perestroika las ich dann die übersetzten Fragmente aus Malina (1971) und schon damals faszinierte mich der Schluss des Romans. Malina ist kein schönes Buch, aber das Einzige, das ich immer wieder von Neuem zu lesen beginne. „Von letzten Dingen" ist mein Lieblingskapitel. Ich fiebere noch immer dem Hineingehen des Ich in die Wand entgegen. Ich habe das Verschwinden dieses Ich gefeiert. Das Buch Malina wurde während der Zweiten deutschen feministischen Welle zum Kultbuch. Bachmann und ihr Werk wurden viel rezipiert, aber häufig missverstanden: vor der weiblichen Mittäterschaft schloss man die Augen. Der damalige Opferkult schlug sich in der Rezeption ihrer Werke nieder. (1)
1995 bekam ich ein Stipendium und besuchte einen Deutschkurs in Braunschweig. Ich wurde nach Norddeutschland eingeladen und die Gastgeberin lieh mir feierlich das Buch Vagabundinnen (1987) von Christina Thürmer-Rohr aus. Ich ahnte, dass die Bedeutung dieses Buches für die deutsche Frauenbewegung etwas Immenses war. Damals lernte ich den Namen Christina Thürmer-Rohr kennen und behielt ihn im Gedächtnis.
Christina Thürmer-Rohr wurde 1936 geboren. Sie ist die einflussreichste Denkerin der Zweiten Frauenbewegung. Sowohl Bachmann als auch Thürmer-Rohr haben Philosophie studiert und dies macht sich in ihren Reflexionen zur Problematik des „Geschlechtermissverhältnisses“ (2) bemerkbar. In Vagabundinnen ist Ingeborg Bachmann die meistzitierte Autorin. Ihr literarisches Schaffen hat im Denken von Thürmer-Rohr Spuren hinterlassen. Anderseits sind die Essays der bekannten Feministin aufschlussreich für das Verständnis der Werke Bachmanns. Es empfiehlt sich beide Autorinnen simultan zu lesen. Bachmann und Thürmer-Rohr sind Ausnahmepersönlichkeiten, die sich in ihrem Denken berühren und mit geballter Kraft für klare Sichtverhältnisse sorgen. Beide kritisieren das ich-lose Ich und plädieren für einen Neuanfang mit und an der Leerstelle, die das Vorgefundene verneint, entmystifiziert und Leerraum schafft. Beide haben sich mit der weiblichen Mittäterschaft auf den gesellschaftlichen Mordschauplätzen auseinandergesetzt. Ohne Denkerinnen wie Thürmer-Rohr wäre die permanente weibliche Mitarbeit an den patriarchalen Verhältnissen noch lange verdeckt geblieben. „Und die Schuld der Unterdrücker ist die Mitschuld der Unterdrückten geworden" (Ilse Frapan, 1899)
Wie Christina Thürmer-Rohr in ihrem Essay „Querdenken – Gegenfragen -- Einspruch" hingewiesen hat, wurde die weibliche Mitschuld an den bestehenden desaströsen Verhältnissen bereits am Ende des 19. Jahrhunderts thematisiert. (3) Thürmer-Rohr erinnert an die Schriftstellerin Ilse Frapan. Sie hat die gesellschaftlichen Missstände in der Gestaltung der Geschlechterverhältnisse bereits 1899 durchschaut und thematisiert:
„Die Frau gedeiht ausschließlich in der Familie, sagen sie uns. Aber, - ist sie denn so herrlich gediehen? Sie erstarrt…, nimmt alles Nebensächliche für die Hauptsache und schätzt das Wesentliche gering. Der Horizont wird durch lauter Nichtigkeiten verhängt.“ (4) „Indem man uns alle freie Bewegung versagte, hat man uns klein gemacht und uns dann höhnend vorgehalten: des Hauses enge Grenzen, das sei unsere ganze Welt. Und die Schuld der Unterdrücker ist die Mitschuld der Unterdrückten geworden. Indem wir es uns haben gefallen lassen, sind wir schlaff, träg, kleinlich, kurzsichtig, oberflächlich und listig geworden. Wir haben unsere Ketten sogar lieb gewonnen, wir finden uns anmutig in unserer Unselbständigkeit…Nein, nein, so wie wir da sind, taugen wir gewiss nicht viel.“ (5)
Fast hundert Jahre später war die Mittäterschaft noch immer ein brisantes und unerledigtes Anliegen. Jede, die es ansprach, wurde entweder überhört und /oder missinterpretiert wie Ingeborg Bachmann. Dazu kam noch die Verstrickung im Nationalsozialismus. Sowohl Ingeborg Bachmann als auch Thürmer-Rohr hatten einen überzeugten Nationalsozialisten als Vater. Im Gegensatz zu Ingeborg Bachmann distanzierte Thürmer-Rohr öffentlich von ihrem Vater. (6) Bachmann vollzog die Trennung nie. In ihrem literarischen Werk und in ihrem „feministischen Kultbuch“ Malina hat Bachmann die ganz alltäglichen Mechanismen der Mittäterschaft am patriarchalen Desaster meisterhaft aufgezeigt, sowie auch die Verselbständigung der Täterschaft aus der lang praktizierten Mittäterschaft. Sie schildert den Kampf zwischen zwei Selbst, zwei Persönlichkeiten in einem Ich: dem weiblichen Ich, das im Geschlechtermissverhältnis verstrickt ist, und seinem anderen Anteil namens Malina. Der leisere, marginalisierte Anteil trägt in diesem inneren Ringen um eine Neuorientierung den Sieg davon. Malina ist ein utopischer Entwurf, ein radikales und mutiges Wagnis, Gewöhnliches aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten: das weibliche Ich wird so zu einer fragwürdiger, plakativer Größe. Bachmann hinterfragt die Voraussetzungen seiner Existenz. Malina stiftet ein wenig Hoffnung auf das Ende der ,Prostitution‘ im patriarchalen gesellschaftlichen und kulturellen Bordell, das zwar utopisch, aber nicht ganz unmöglich zu sein scheint.
image: Hyäne- Sketch colour by "Космика" Berlin 2023 (artificial intelligence) Kosmika (Pseudonym) Copyright imagofeminae 2023 # XXXV
Das „Vaterspiel“
Im mittleren Teil des Buches mit dem Titel „Der Dritte Mann" schildert Ingeborg Bachmann die Verstrickung des weiblichen Ich in patriarchale Machtstrukturen. Egal, ob Wissenschaft, Kultur, Religion oder Politik, dieses Ich macht mit, indem es vorgibt, nicht mitzumachen. Es gibt immer eine Ausrede, ein Vorwand, ein Satz vom Grunde, der begründet, warum es aus dem „Vaterspiel" nicht aussteigen kann. In masochistischer Ergebenheit lässt es sich immer wieder schlagen und verprügeln, schreibt dem „Vater“ Liebesbriefe und setzt das „Vaterspiel“ fort. In den Entwürfen zum Buch hat der „Vater" einen Namen und er heißt Max & Frisch. (7) Max ist austauschbar. Er ist auch Hans und Ivan. Es gibt immer einen Max, der vor allem an allem Schuld ist, Schuld am „Opfer". Der „Vater" Max & Frisch – der personifizierte Patriarchat, ist nicht identisch mit dem biologischen Erzeuger.
Das tradierte weibliche Ich ist ein Erzeugnis der männlich geprägter Massenkultur, ein unentbehrliches Bestandteil der patriarchalen Kultur, die ohne seine permanente Mitarbeit, ohne seine unzähligen Opfer, all seinen perversen Glanz längst eingebüßt hätte. In der Kirche hat es im Namen des Vaters Gehorsam gelernt, den ‚sicheren Hafen‘ „Mann“ in Würden zu halten und alltäglich Opfer zu bringen. Obwohl „die Frau" von der Kirche jahrhundertelang verflucht und verdammt wurde, lässt sich das weibliche Ich noch heute von den Sonntagsmonologen der Kirchenväter beeindrucken. Es hört nicht auf, dem Herrgott zu Diensten zu sein. Herrgott, es gehört sich so, „Im Namen des Vaters“, verdammt und verflucht zu werden. Die „Vaters“-Tochter fühlt sich zuständig für den „Transport von Kulturwerten und Kulturlügen", für das Aufrechterhalten von „Sicherheiten und Täuschungen". (8)
Neben der großen Fluch-Show in der Kirche macht sich das weibliche Ich unentbehrlich auf anderen väterlichen Bühnen und in anderen Regiestücken des „Vaters". Ingeborg Bachmann zeigt die patriarchalen Fundamente der Kirche, der Wissenschaften, der Presse, der Kunstgattungen Theater, Oper und Film auf. Der Fadenzieher ist immer der „Vater" Max & Frisch, Hans, Ivan & Co, der dem Ich die Rollen zuteilt und die Kostüme wechselt. Der „Vater" ist auch die „Mutter", die das Gesicht des „Vaters" hat, weil sie ihr eigenes Gesicht längst verloren hat. Sie hat buchstäblich nichts zu sagen oder spricht die ‚menschliche' Sprache des „Vaters". Alle Lebensbereiche sind mehr oder weniger verseucht und unterwandert mit dem geistigen, väterlichen ,Ejakulat‘, der ganz frisch und quicklebendig daherkommt, und um dessen Bewahrung die väterlichen, gesichts- und ich-losen Mütter besorgt sind.
In den neusten Trends wird versucht, das Wort „Mutter" mit „gebärende Person" zu ersetzen. Damit ist nichts erreicht, obwohl sprachliche Erneuerung geben muss. Doch vor allem müssen die heterosexistisch-patriarchalen Zusammenhänge, die oft als allgemeingültig und „menschlich“ daherkommen, zersetzt, entlarvt und eliminiert werden, sonst bleibt die Erneuerung der Sprache ein kosmetischer Effekt. Die strukturelle Gewalt wird nicht abgeschafft, bloß kosmetisch maskiert und vertuscht. Die Tür zum System „Vater“, der auch die „Mutter" ist, wird nicht zugeworfen, sondern es wird vorgegaukelt als ob man sie zugeworfen habe. Das „Vaterspiel" läuft, kosmetisch auf der Oberfläche wegretuschiert, auf Hochtouren weiter.
image: "Im Wolkenland" nach Ingeborg Bachmann Malina, Traumkapitel, Friedhof der getöteten Töchter
Pencil on paper by Gerda Pohlers Berlin 2023 Copyright imagofeminae 2023 # XXXV
Der „Akt des Verwerfens“
In Bachmanns Buch Malina versucht der „Vater“ dem weiblichen Ich, die Worte und Sprache zu stehlen, um seine Kreativität für sich zu vereinnahmen. Das weibliche Ich irrt sich ohne Textbuch durch die Oper des „Vaters“. Die „Frau“, das bekannteste Label des „Vaters", darf zur Oper, als die Kastraten entbehrlich geworden sind. Das patriarchale Label „die Frau" befördert die Vermarktung der Kunstprodukte. Das weibliche Ich spielt Rollen, die nicht seine sind, trägt fremde Kostüme und Masken. Es lässt sich mitnehmen, es steigt ein, in die Oper des „Vaters". Es ist immer eingestiegen in das Spiel, ohne groß zu stören, und zu verstören, zu entlarven, zu unterwandern und vor allem ohne zu sabotieren, leise, langsam und beständig. Es ist beteiligt. Es versucht in einer Kunstgattung, deren Entwicklung eng mit der Geschichte der Kastration verknüpft ist, Fuß zu fassen, um dem „Vater" einen Gefallen zu tun und damit er ihm wegen seiner Treue und Nützlichkeit, eine Gnadenfrist einräumt. Am Ende der Opernauführung liegt es mit gebrochenem Genick im „geheimnisvollen Schlund" (9), dem leeren Orchesterraum. Es ist zufrieden, es hat die Aufführung des „Vaters" mit den Versen aus Richard Wagners Tristan gerettet: „So stürben wir, um ungetrennt – ewig einig ohne End‘, ohn‘ Erwachen - ohn‘ Erbangen, namenlos in Lieb‘ umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben!“ (Tristan, Zweiter Aufzug)Das weibliche Ich bricht sich das Genick im „unsichtbaren“ Orchesterraum, einer Vision Wagners, den „technischen Herd der Musik, das Orchester, unsichtbar zu machen […]". (10) Diese Vision der ungestörter Illusion hat Wagner in Bayreuth Realität werden lassen: „Interessant ist die unterirdische Höhle im Halbkreise, welche das ‚unsichtbare Orchester beherbergen wird […].“ (11) Das weibliche Ich stirbt zahlreiche Tode. Es ist darauf getrimmt, viele Tode zu sterben. Im Namen der Liebe. Zu „Im-Namen-des Vaters“ etablierten Wissensstandards über den großen Meister gehört der vertiefte Orchesterraum, von dem sich Wagner in Riga beeindrucken ließ. Dieser wurde mir in Riga eindringlich vermittelt.
„Meine Forderung der Unsichtbarmachung des Orchesters gab dem Genie des berühmten Architekten (Gottfried Semper), mit dem es mir vergönnt war zuerst darüber zu verhandeln, sofort die Bestimmung des hieraus zwischen dem Proszenium und den Sitzreihen des Publikums entstehenden, leeren Zwischenraumes ein; wir nannten ihn den ‚mystischen Abgrund, weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe [….].“ (12) In diesem „mystischen Abgrund", dem „leeren Zwischenraum" bricht das weibliche Ich an der Trennlinie von der Idealität zur Realität sein Genick. Es demaskiert den schönen Schein, fällt gänzlich aus der Rolle, die nie die seine gewesen ist. Es kommt tot in der Realität an, lebendig nie! Im „mystischen Abgrund", im „leeren Zwischenraum" endet sein Opernausflug. Die Idealität der außerordentlichen Liebe zum Fetisch „Mann" scheitert an der Realität des verdeckten Orchestergrabens: „So stürben wir, um ungetrennt […]“. Tot. Alles tot. Die Idealität der Kunst ist auf einem Schein aufgebaut und ihre Entzauberung bricht der „Frau", dem bekanntesten patriarchalen Label, buchstäblich das Genick.
image: Hyäne - Sketch by "Космика" Berlin 2023 (artificial intelligence) Kosmika (Pseudonym) Copyright imagofeminae 2023 # XXXV
Die Leere nach der Entmystifizierung
Die Entmystifizierung des Geschlechtermissverhältnisses sind zentrale Aspekte im Denken von Ingeborg Bachmann und Christina Thürmer-Rohr. Nach Christina Thürmer-Rohr habe Ingeborg Bachmann Frauen dargestellt, die zwar Opfer sind, aber nicht aufhören können, ihre Täter zu decken. (13) Damit wird das Opfer zur Mittäterin, die die „ungute Wirklichkeit" (14) nicht sehen will und sich daran das Genick bricht. Nach Thürmer-Rohr führt die Wirklichkeitsverleugnung zum Genickbruch. (15) Bachmann schickt die phantasmagorische „Frau“ in die Wand, in den versteckten „mystischen Abgrund“, dem Symbol für die Realität, für die „ungute Wirklichkeit", die sie ent-deckt und aufdeckt, mit der Hoffnung, dass „die Frau" niemals zurückkehren wird. Bachmann hinterlässt eine Wand mit einem Riss, eine mächtige, alte Wand „Malina“. (16) Aus dieser Wand darf nie mehr etwas laut werden. Die internationale Rezeption des „feministischen Kultbuchs" Malina zeigt jedoch, dass dies nicht eingetreten ist. Die Verneinung der Phantasmagorie wird verneint und rückgängig gemacht. Das phantasmagorische weibliche Ich wird aus der Wand gezerrt. Man kämpft um seine Auferstehung, bedauert sein Ende, will ihm das Leben einhauchen. Dieses unbrauchbare ich-lose Ich hat keine Zukunft: Es ist verbraucht, abgenutzt, inflationär, flach, zerblättert und zerstört. Es ist eine geistesgeschichtliche Erfindung, eine männliche Kopfgeburt, die durch Bücher und Zeiten wandert. (17) Keine Sterbliche kann diesen Phantasmagorien entsprechen. An ihnen bricht man nur das Genick. Bachmann schlägt vor, Abschied zu nehmen, das zerblätterte „Ich" niederzuringen, zum Schweigen zu bringen, auszulöschen, um somit den Erneuerungs- und Heilungsprozess einzuleiten. Eines Tages sollen die tradierten Ich-Masken und die Ich-Kostüme aus den Schränken verschwinden. Dieses Ich soll nicht mehr weder zum Fest der Opfer noch zum Fest der Mittäterinnen eingeladen werden. Die Buchseiten aller Bücher werden mit weißen Stellen übersät sein, die Inhalte werden unverständlich und nicht mehr entzifferbar sein. (18) Eines Tages wird die „Notre Dame“ in den Gehirnen brennen und die Jungfrau Maria wird ihre Heimfahrt antreten, in die Wand „Malina". Die internationale Rezeption des „feministischen Kultbuchs" Malina, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, ist an der bild- und ich-losen Wand gescheitert. Ingeborg Bachmann rang um eine neue Sprache, rang im Schreiben das überlieferte phantasmagorische Ich nieder, liess Malina, den reflektierten, pragmatischen Anteil, überleben. Darüber hat man sich nicht gefreut. „Die Frau“ litt unter dem Entzug und hat sich selber als „Vaters"-Tochter verraten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Feministinnen ganz und gar die „entscheidende Herausforderung", wie sie Christina Thürmer-Rohr formuliert hat (19), verfehlt haben. Meiner Ansicht nach sind sie nicht in der Lage gewesen, vor einer bildlosen Wand, in einem leeren Raum innezuhalten.
image: Hyäne & Frau colour- Sketch by "Космика" Berlin 2023 (artificial intelligence) Kosmika (Pseudonym) Copyright imagofeminae 2023 # XXXV
Die Vision: Folgt den Hyänen
Ich zeichne auf der bildlosen Wand „Malina“ ein Bild, ein Tier: die Tüpfelhyäne, ich zeichne die Anführerinnen und ihre wunderbaren Geschlechtsorgane, die häufig als „Pseudo-Penisse" bezeichnet werden, weil man „im Namen des Vaters" einem Tier sein Geschlechtsorgan sprachlich entwenden will. Die intelligente Hyäne ist ein würdiges Symbol für eine feministische Vision, die sich primär auf die Klitoris besinnt. Ich lache über die abwertende Schundliteratur, die sich mit den Hyänen „befasst" hat. Jede Hyäne hat ihre eigene Stimme, ihren eigenen Ruf, ihre eigenen Flecken und Macken, die absolut individuell und unverwechselbar sind, so dass niemand der Tüpfelhyäne ihre Eigenart, ihre eigene Stimme nehmen kann. Das zerblätterte „weibliche Ich“ wird nicht mehr gebraucht, seine Auslöschung ist das utopische Ziel. Jeder kleine Schritt ist ein großer Sieg. Lasst dieses abgenutze Ich fallen. Lasst es los. Ohne dieses Ich wirst Du zum Du, die*der*das Du* bist. Lasst die „Notre Dame“ in Euren Gehirnen brennen, damit Exultate Jubilate von den Rufen der Hyänen übertönt wird. Folgt den Hyänen.
image: Dr. Sandra Boihmane foto: Courtesy of imagofeminae.com
Dr. phil. Sandra Boihmane (Boichman) studierte in Berlin, Riga und Wien. Nach ihrem Studium der deutsch-lettischen Kulturbeziehungen an der Kulturakademie in Riga arbeitete sie in Eduards-Smiļģis-Theatermuseum. An der Humboldt-Universität studierte sie Gender Studies und Kulturelle Kommunikation /Theaterwissenschaften. Sie beteiligte sich u.a. am Projekt „Gender Matters in the Baltics“ (Leitung: Prof. Dr. Irina Novikova). 2014 schloss Sandra Boihmane ihre Promotion in Gender Studies ab. In Ihrer Dissertation, die an der Humboldt-Universität entstand, behandelt Dr. Sandra Boihmane Ingeborg Bachmanns literarisches Werk "Malina".
Referenzen:
(1) Vgl. die Interpretation von Christina Thürmer-Rohr mit dem Rekurs auf Elisabeth Bronfen: Nur über ihre Leiche: Tod, Weiblichkeit und Ästhetik (1994). Christina Thürmer-Rohr: „Vergänglichkeit. Abwehr und Nicht-Wissen, Anfangen und Aufhören", S. 257-284, hier S. 282. In: Thürmer-Rohr, Christina: Fremdheiten und Freundschaften. Essays. Bielefeld: transcript, 2019.
(2) Begriffsentlehnung von Christina Thürmer-Rohr. Siehe Christina Thürmer-Rohr: „Feminisierung der Gesellschaft – Weiblichkeit als Putz- und Entseuchungsmittel", S. 106-121, hier S. 119. In: Thürmer-Rohr, Christina: Vagabundinnen: Feministische Essays. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1987.
(3) Vgl. Christina Thürmer-Rohr: „Querdenken – Gegenfragen – Einspruch. Zündstoff feministischer Forschung", S. 141-153, hier S. 146-148. In: Vagabundinnen.
(4) Ebd., S. 148. Vgl. Ilse Frapan: Wir Frauen haben kein Vaterland: Monologe einer Fledermaus. (1899) http://www.zeno.org
(5) Ebd.
(6) Christina Thürmer-Rohr: „Liebe und Lüge: ‚Meine geliebten Kinderchen‘“, S. 57-75. In: Vagabundinnen. Siehe auch Christina Thürmer-Rohr: „Vergänglichkeit. Abwehr und Nicht-Wissen, Anfangen und Aufhören“, S. 257-284, hier S. 262-264. In: Thürmer-Rohr, Christina: Fremdheiten und Freundschaften. Essays. Bielefeld: transcript, 2019.
(7) Ingeborg Bachmann: „Male oscuro“. Aufzeichnungen aus der Zeit der Krankheit. Werke, S. 236, S. 243. München, Berlin, Zürich: Piper & Berlin: Suhrkamp, 2017.
(8) Begriffsentlehnungen von Christina Thürmer-Rohr. Siehe: Christina Thürmer-Rohr: „Aus der Täuschung in die Ent-Täuschung. Zur Mittäterschaft von Frauen“, S. 38-56, hier S. 49. In: Vagabundinnen.
(9) Begriffsentlehnung von Paul Lindau. Siehe: „Anzeigen und Beurtheilungen. Nüchterne Briefe aus Bayreuth von Paul Lindau,“ S. 653-654. In: Allgemeine Musikalische Zeitung, Nr. 41/1876.
(10) Vgl. Richard Wagner: Das Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth. Leipzig: E. W. Fritzsch, 1873, S. 21.
(11) Vgl. „Das Wagner-Theater in Bayreuth", S. 315. In: Der Sammler, Nr. 79/1874.
(12) Vgl. „Das Theater Richard Wagner‘s", S. 277. In: Der Sammler, Nr. 70/1873.
(13) Vgl. Christina Thürmer-Rohr: „Aus der Täuschung in die Ent-Täuschung. Zur Mittäterschaft von Frauen, S.38-56, hier S. 50. In: Vagabundinnen.
(14) Begriffsentlehnung von Christina Thürmer-Rohr. Vgl. Ebd., S. 50.
(15) Vgl. Christina Thürmer-Rohr: „Abscheu vor dem Paradies", S. 21-37, hier S. 29. In: Vagabundinnen.
(16) Vgl. Sandra Boihmane: Malina-Versteck der Sprache. Die Chiffre ,Malina' in Ingeborg Bachmanns Werk und in Zeugnissen von ZeitzeugInnen, S. 295. Berlin: Neofelis, 2014.
(17) Ebd., S. 140-143.
(18) Ebd., S. 284-286.
(19) Vgl. Christina Thürmer-Rohr: „Feminismus und Moral", S. 83-92, hier S. 85. In: Vagabundinnen. Siehe auch Christina Thürmer-Rohr: „Haßverbot", S. 154 -167, hier S. 167. In: Vagabundinnen.
IMPRESSUM
female ART & CULTURE LITERATURE - FEMINIST LITERATURE.
"Christina Thürmer-Rohr und Ingeborg Bachmann – eine Engführung oder zur Überschneidung der führenden Stimmen im deutschsprachigen feministischen Diskurs" von. Dr. Sandra Boihmane
imagofeminae WOMEN IMAGE LIFESTYLE ISSN 2195-2000 Deutsche Nationalbibliothek. EDITORS: Dr. Sandra Boihmane, Boriana Pertchinska, Dipl.-Psych. Paiman Maria Davarifard. imagofeminae SPRING 2023 # XXXV © Berlin 2023 by imagofeminae.com. Mail: editors(at)imagofeminae.com . ALL RIGHTS RESERVED.