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INTERNATIONAL imagofeminae.com # XXXII Spring 2022
image: Dr. Desislava Deneva fine arts National Academy of Art Sofia Bulgaria foto: Marina Marinova Courtesy of Desislava Deneva - "C.G. Jung und Kunsttherapie" Das Rote Buch. imagofeminae spring 2022 INTERNATIONAL
Dr. DESISLAVA DENEVA National Academy of Art Sofia Fine Arts
Edited @ imagofeminae International by:
Dr. Desislava Deneva & Dipl.-Psych. Paiman Maria Davarifard
Carl Gustav Jung
in seiner kunsttherapeutischen Erfahrung
von Dr. Desislava Deneva
Deutsche Überstzung aus dem bulgarischen Originaltext: Dr. Ivan Popov
Das „Rote Buch“ ist eine der ersten Beschreibungen des Verfahrens einer Selbstanalyse. Dies ist ein synkretistischer Vorgang, dessen Ziel die Erstellung eines einheitlichen visuellen Objektes ist und sich im Gegensatz zu den konventionellen soziokulturellen Konzepten befindet.
Carl Gustav Jung, der von 1875 bis 1961 gelebt hat, ist ein Schweizer Psychoanalytiker und praktizierender Psychiater mit erfolgreicher ärztlicher Praxis. Umfassend gebildet, beruhen seine Ansichten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen auf folgenden Gebieten – Medizin, Biologie, Ethnografie, Kulturwissenschaften, Geschichte, Philosophie, Evolution der Kulturen, Psychologie u.a. Er selbst ist ein Beispiel für einen Menschen, der sich stets weiterentwickelt hat. Er unterrichtet, hält Vorträge auf der ganzen Welt, erforscht unterschiedliche Kulturen und dies schlägt sich in seinen Werken nieder. Die Analysen und die Beispiele, die er angibt, veranschaulichen die äußerst tiefgehende Kenntnis der aufgezählten Bereiche. Als Wissenschaftler und Philosoph ist er mit seiner fundamentalen analytischen Psychologie bekannt. Laut einer Reihe seiner Nachfolger besteht darin sein Einblick in das Okkulte und sie gründet sich auf einer Vielzahl esoterischer Ideen. Der Wissenschaftler entwickelt eine Theorie der Persönlichkeit, in der die menschliche Bestrebung betrachtet wird, zu einer ganzheitlichen und harmonischen Persönlichkeit zu gelangen, wobei Persönlichkeitstypologien festgelegt werden. Er systematisiert die inneren Mechanismen, welche in der intellektuellen Entwicklung des Individuums eine Rolle spielen.
Mein Artikel stellt den Versuch dar, einen Einblick in die komplizierte Dynamik psychischer Einstellungen zu gewinnen, die Jung angeregt haben, ununterbrochen sein persönliches Wachstum anzustreben, auch unter der Gefahr, dafür mit dem Preis seiner eigenen seelischen Gesundheit zu bezahlen. Im Zuge dieses Prozesses der Harmonisierung und Abstimmung aller grundlegenden seelischen Strukturen entdeckt er ein eigenes Instrumentarium und Mechanismen, die er in innovative Ideen einsetzt. Seine unkonventionellen Reflexionen über die Rolle des Unbewussten sind für die damalige Zeit ein Skandal. Der Forscher schlägt eigenhändig den Weg der Individuation ein, wobei er seine inneren Grenzen überwindet. Mit diesen Aktivitäten möchte Jung beweisen, dass insoweit das Unbewusste eine unerschöpfliche und fruchtbare autonome Welt darstellt, der Einzelne seine eigenen Beschränkungen überwinden kann und Erfahrungen aus dem Feld des Unbewussten schöpfen kann. Indem er es wagt, in die unbekannte Wildnis seines eigenen Unbewussten sich zu begeben, beschreibt Jung diese Erfahrungen in seinem epochalen Werk – dem „Rote[n] Buch“. Das Tagebuch enthüllt seine persönlichen Experimente auf dem Gebiet der Tiefenpsychoanalyse. Der Autor taucht ohne Angst in diese Endlosigkeit ein, die seine Ideen mit bemerkenswerten gedanklichen Figuren gefärbt hat, welche seine seelische Rettung darstellen. Vor dieser „ungewollten Reise“ (die vielleicht doch gewollt war) hat der Wissenschaftler alles erreicht – professionellen Erfolg, Ehe, Kinder und Prestige. Aber all dies erweist sich ab einem gewissen Augenblick als ungenügend. Von innerer Unzufriedenheit zerfressen, taucht Jung in die Wildnis seiner persönlichen Selbsterforschung ein und analysiert sich selbst, als Patient. In seinen Aufzeichnungen wird zum ersten Mal der autotherapeutische Vorgang dokumentiert, als Weg zum psychischen Wachsen.
Unabhängig von alldem setzt Jung seine Tätigkeit als Psychiater fort, er empfängt täglich Patienten und betreibt eine gute professionelle Praxis. Er unterstützt seine Patienten dabei, sich nicht nur mitzuteilen, sondern auch zu malen. Diese kunsttherapeutischen Sitzungen schlagen sich in „Liber Novus“ nieder (das war der ursprüngliche Titel des „Rote[n] Buch[s]“) und es ist kein Zufall, dass dieses Werk ebenfalls mit Illustrationen gespickt ist. Indem er die Technik der „aktiven Imagination“ verwendet, erreicht der Wissenschaftler glänzende Ergebnisse, nicht nur mit seinen Patienten, sondern auch bei sich selbst. Lange Jahre arbeitet er, nachts, an seiner epochalen Untersuchung – dem „Rote[n] Buch“. Jung selbst sieht es als sein schwierigstes Experiment. Seine Arbeit untersucht die Konfrontation der Vernunft mit dem Unterbewussten (Unbewussten). Die persönliche Untersuchung, die in Text und Malerei umgewandelt wird, enthüllt seine tiefen psychologischen Traumata. Die Aquarelle und Temepragemälde sind manchmal angsterregend und unverständlich, aber trotzdem stellen sie eines der stärksten Elemente in der gesamten Gestaltung dieses Buchs dar. An dieser Stelle kann hinzugefügt werden, dass der Autor die Fantasie und die Kreativität für die treibenden Kräfte der menschlichen Existenz hält. Die Rolle der Vorstellungskraft in den kreativen Prozessen beschreibt Jung wir folgt: „Nicht nur der Maler, sondern wer auch immer, der sich in der Kunst betätigt, ist in allen seinen großartigen Errungenschaften mit seiner Fantasie verbunden“. Seiner Meinung nach ist das Spiel eine dynamische Realisierung der Fantasie – es ist den Kindern eigen und prinzipiell mit der ernsthaften Arbeit unverträglich, aber kein kreativer Prozess kann ohne dieses Spiel der Fantasie beginnen und existieren. Seinerseits analysiert und beschreibt er in seinem Buch dieses Spiel der Fantasie sehr mühsam. Es ist eine Zusammensetzung aus Träumen und Wünschen, welche in Bildern und Texten verkörpert sind. Die Bilder sind mit animalischen Elementen gespickt und die menschliche Präsenz tritt zurück. Als ob der Wissenschaftler selbst von mythischen Ungeheuern angegriffen worden wäre, von hybriden Wesen, die aus den Tiefen seiner Träume aufgetaucht sind. All dies gibt den Biografen und Kritikern einen Grund, diesen Abschnitt seines Lebens als eine „künstlerische Erkrankung“ zu betrachten, als eine Zeit der Introspektion und der psychischen Erholung. Viele Forscher zweifeln an seinem gesunden Verstand, aber im Unterschied zu ihnen behauptet Sonu Shamdasani (der Hauptübersetzer dieses Werkes), dass es schwierig wäre, Jung als einen Psychopathen zu kategorisieren. Die Spekulationen bezüglich dieser Frage sind auch heute nicht abgeklungen, Jahre nach dem Tod des Philosophen. Es wird behauptet, dass die Kränkung weger seiner Zurückweisung aus Freuds Kreis zu schmerzlich für ihn gewesen ist. Traumatisiert, erleidet der Wissenschaftler einen seelischen Zusammenbruch, der ihn in diesen Teufelskreis bringt. Anderen Meinungen nach wählt er bewusst und freiwillig dieses Entfernen von der Welt. Das absichtliche Eindringen in seine aufdringlichen Gedanken, unbewussten Triebe und Wünsche, auf dem gewählten Weg zur Individualisierung, führt Jung mit analytischem Tiefgang durch.
Inzwischen ergreift das Chaos des Ersten Weltkrieges ganz Deutschland, aber die Konsequenzen des Krieges trägt ganz Europa. Die bekannte Welt bricht zusammen und verändert sich, was auch für die Ideen gilt. Der Erneuerer Jung betrachtet die konkrete historische Lage durch die Optik der „archetypischen Gestalten“ und der Form, welche ihrer Projektion entspricht. Dies sind die tiefen Schichten des „Unbewussten“. Ich füge hinzu, dass sein Konzept verschiedene Unterkomponenten mit einschließt: „das persönliche Unbewusste“, „das kollektive Unbewusste“ und „das Bewusste, welches unserem Ego gleichgestellt ist“. „Das persönliche Unbewusste“ wird von unserer persönlichen Geschichte determiniert, von Inhalten, die unterdrückt oder vergessen worden sind, aber irgendwann bewusst gewesen sind. Dies ist die eher oberflächliche Schicht unserer Psyche. In die einheitliche und ganzheitliche Idee vom „kollektiven Unbewussten“ integriert er die gesamte von der Menschheit gesammelte Erfahrung, welche vererbt wird. Jung nennt diesen Teil „Archetypen“ und er ist universell. Es handelt sich um Verhaltensformen bei allen Menschen, unabhängig von der geographischen Lage und ihrem sozialen Status. Dies ist ein Substrat überpersönlicher Art, der in jedem von uns angelegt ist. Die „Archetypen“ sind tiefenpsychologische Phänomene, welche eine Gestaltung im Epos, in den Sagen und in unterschiedlichen religiösen und mythologischen Symbolen erfahren. Sie erfüllen die Rolle von Regulatoren des Kollektiven und der individuellen Verhaltensformen. Dies sind Bilder und Symbole, welche von der Zeit und vom Raum unabhängig sind. Sie sind ein angeborenes Denkmuster, welches den Inhalt des „persönlichen Unbewussten“ ergänzt und weiter entwickelt. „Der Archetyp“ ist eine Matrix, welche Gestalten erzeugt, indem Material aus dem „persönlichen Unbewussten“ verwendet wird. Dies ist eine typische Verhaltensform, die, einmal bewusst geworden, sich wie eine Idee, wie eine Gestalt vorstellt, all dem ähnlich, was zum Inhalt des Bewusstseins geworden ist, d.h. des „bewusst Gemachten“. Hier wird Inhalt aus unserem individuellen Leben hinzugefügt. Diese archetypischen Gestalten hängen bereits von vielen konkreten Umständen und Begleiterscheinungen ab: der gesellschaftlichen Entwicklung, dem kulturellen Status und dem sozialen Leben. In einer Krisensituation kommt der „Archetyp“ zum Vorschein, d.h. das, was in uns angelegt ist, unsere instinktive Reaktion.
In diesem Sinne sind die genannten Ideen sehr wichtig, um Jung verstehen zu können. In seinen gesammelten Vorträgen „Tavistock Lectures“ (1935) weist der Forscher auf das Verhalten der Menschen jener Zeit hin, betreffend die Inhalte des kollektiven Unbewussten. Die Parallele ist mehr als offensichtlich: „Die Geschichte wird im kollektiven Unbewussten der einzelnen Personen vorbereitet und wenn die Archetypen in einer großen Gruppe von Individuen aktiviert werden und an die Oberfläche auftauchen, dann befinden wir uns im Zentrum der Geschichte – ähnlich wie in der heutigen Situation“. … „Ich habe es kommen sehen. Bereits 1918 habe ich gesagt, dass „die russische Bestie“ im Schlaf zuckt und dass irgendetwas in Deutschland sich ereignen wird“. Kategorisch erklärt er die Verbundenheit eines Teils der Intelektuellen mit der faschistischen Idee mit der Brücke zwischen dem persönlich Unbewussten und dem kollektiven. Eine „dünne Haut, leichte Wellen an der Oberfläche des Ozeans der kollektiven Psychologie“ (ebd.). Für ihn ist der entscheidende Faktor, der die eigentlichen Ereignisse hervorruft, der Archetyp, und nicht das menschliche Bewusstsein und die praktische Intelligenz. Der Triumph des kollektiven Unbewussten in solchen Situationen ist offensichtlich. Die archetypischen Bilder erobern die gesamte deutsche Nation, sie werden für alle gemeinsam. Jung erklärt diese Paranoia mit den archetypischen Erscheinungen, die sich des sympathischen Nervensystems bemächtigt haben. Es handelt sich nicht um persönliche Bedürfnisse und Wünsche, sondern um solche Ereignisse und Phänomene, die sich immer ereignet haben und sich ereignen werden: „Dies hat nichts mit der rationalen Bewertung zu tun, es ist einfach Geschichte“. Danach fährt er fort: „Gebt den Menschen einen Archetyp und sie werden alle einheitlich sich in den Angriff stürzen, dies ist etwas Unüberwindbares“ (ebd.). Er geht sogar viel weiter, indem der den Faschismus mit der lateinischen Form der Religion vergleicht, und akzentuiert auf seinen religiösen Charakter, der seiner Meinung nach die von ihm hervorgerufene allgemeine Trunkenheit erklärt, von den Anhängern Hitlers erfolgreich angewandt. Auf diese Weise weist Jung auf den religiösen Charakter der Archetypen hin – diese unpersönlichen Faktoren, und er findet eine Parallele zwischen dem Nazismus in Deutschland und der religiösen Ehrerbietung. Hier handelt es sich seiner Meinung nach um die Personifikation eines wiederbelebten Archetyps des „Erlösers“, verkörpert vom Diktator.
Wie bereits gesagt, ist das 20. Jahrhundert von Schwierigkeiten im politischen und soziokulturellen Sinne gezeichnet. Es brechen die philosophischen Ideen zusammen, die in der Kunst seit der Zeit des Aristoteles dominiert hatten. Aber nicht nur die Ideen verändern sich, der Kunstmarkt wird ebenfalls neu definiert. Eric Hobsbawm bemerkt, dass nach 1910 die Avantgarde sich in Richtungen entwickelt, denen „die Hauptarmee des Publikums nicht folgen will oder kann“. Die Ablehnung der klassischen ästhetischen Muster aus der Vergangenheit ist für die Kunst des 20. Jahrhunderts charakteristisch, um sich am Ende in einen totalen Nihilismus zu konzentrieren. Der starke Subjektivismus, von den spontanen Reaktionen gegenüber der Realität bestimmt, ist für die künstlerische Autorenperspektive charakteristisch. Die Farben und die Formen werden auf verschiedene stilistische Weisen transformiert, aber es gibt viele gemeinsame Themen, die die einzelnen Strömungen verbinden. Solche sind beispielsweise: die Apokalypse, der Krieg, der Zerfall der moralischen Werte und die Selbstzerstörung (z.B. die deutschen Maler Otto Dix und Georg Grosz). Das Schöne zieht sich zurück zugunsten der Hässlichkeit und des Wahnsinns, und die Selbstironie und der Sarkasmus werden dem vertrauten Arsenal von Schriftstellern, Dichtern, Schauspielern und Malern zugrunde gelegt. Im Jahr 1916 erscheint in Zürich (der Schweiz) das „Steckenpferd“ („Dada“) auf die Bühne. Dies ist einer der radikalsten Auftritte im kulturellen Leben, eine starke Manifestation der Avantgarde aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welche bis 1922 fortlebt. Der Dadaismus ist ein Protest gegen den kulturellen und intellektuellen Konformismus. Die Bewegung verwirft die traditionellen Werte in der Kunst, kritisiert den kreativen Prozess und schlägt neue irrationale Methoden vor. Die Ästhetik wird mit einer scharfen Satire ignoriert, indem manchmal Antikunst als Alternative angeboten wird. Die Ideen sind einfach nur noch „Feigenblätter“ und Chr. Schad, ein weiterer Teilnehmer, beschreibt den Dadaismus folgendermaßen: „Dada ist weder eine Strömung, noch eine Schule, dies ist die Idee der grenzlosen Freiheit. Es ist eine dynamische Tätigkeit, gerichtet gegen den Verdruss des Altmodischen in der Kunst und in der Literatur, es ist der Zorn gegen die tief verwurzelte Tradition, die bereits senil geworden ist“. Hülsenbeck sieht die Mittel zum Erreichen des Ziels in der Verwendung eines brutalen „simultanen und statischen Gedichts“. Es erscheint die Verwendung von rein malerischen Materialien, auf eine neue kreative Weise, sowie die Technik der Collage, die Fotografie etc. In „The random poem“ (zufällige/willkürliche Gedichte) spielen die Improvisation und der Zufall die entscheidende Rolle im kreativen Vorgang. Dies ist ein allgemeines Klima der Radikalisierung, dessen Vorreiter die Dadaisten sind. Sie führen ihre kleinen Darstellungen auf der kleinen Bühne des „Cabaret Voltaire“ vor. Sie improvisieren in Klanggedichten, nach dem Prinzip des „zufälligen Verses“ und der „simultanen Gedichte“. Durch diese unkonventionelle Verwendung der Sprache, sagt H. Ball: „… wollten wir uns von der Sprache befreien, die der Journalismus ungeeignet und unmöglich gemacht hatte“. Es ist ein neues klangliches Bild entstanden in den unterschiedlichen Kombinationen, welches den frenetischen Lärm der Bomben und Geschosse in den Schanzen nahezu widergibt. Dies ist das ohrenbetäubende Gebrüll des Krieges und ein Ausdruck der natürlichen menschlichen Angst und Verwirrung. Die Dadaisten sind sehr kreativ in der Verwendung von gewöhnlichen Materialien aus dem Alltag. Die „ready-made“-Objekte oder „object trouvé“ erfahren eine Transformation. Ihre ursprüngliche ordinäre Funktion wird ausgeblendet, damit sie in Kunst verwandelt werden. Bereits 1912 bringt Pablo Picasso einen grünen Stuhl auf sein Gemälde an. Einige Jahre später stellt Marcel Duchamp einen Urinal/Dusche, das im Nachhinein den Status eines dadaistischen Symbols mit der Stärke eines Manifestes dieser Bewegung bekommen hat.
Ich stelle mir die folgende Frage: kann Jung zu den andersdenkenden Intellektuellen während des Krieges gezählt werden? Er seinerseits, wie andere auch, widersetzt sich mit seinen provokanten Ideen und Untersuchungen den konventionellen soziokulturellen Konzepten. In diesem Sinne kann die Verwirklichung des „Rote[n] Buch[es]“ (niedergeschrieben ungefähr zwischen den Jahren 1914 und 1930) als eine für die damalige Zeit moderne Interpretation philosophischer Ansichten betrachtet werden. Vielleicht ist es eine Widerlegung dogmatischer Ideen und religiöser Ansichten, unabhängig vom beträchtlichen Vorhandensein von Mystizismus darin. Ich denke, dass Jung die Aufmerksamkeit der Philosophie auf das Undendliche des Unbewussten richten möchte, indem er seine eigene psychotische Veranlagung überwindet und selbst die Gefahr für seine psychische Gesundheit versteht. Seine Arbeit an diesem Werk ist eine der ersten Beschreibungen eines Vorgangs der Selbstanalyse, aber nicht zuletzt handelt es sich dabei um das Erstellen eines visuellen Objektes. Dieser synkretistische Vorgang hinterlässt eine Narbe, nicht nur auf seine schöpferische Tätigkeit, sondern auch auf diese anderer Künstler in den folgenden Jahrzehnten. Die Illustrationen, die nicht immer eine direkte Visualisierung des Textes darstellen, zeigen den deutlichen Wunsch des Autors, mit den früheren Formen sozialer Reflexionen zu brechen. Diese Ansammlung von Symbolen, Verweisen auf altertümliche gnostische Texte, geliehenen Einflüssen aus dem Daoismus, welche mit Urteilen mittelalterlicher Alchemisten gefärbt sind, rufen auch heute widersprüchliche Meinungen hervor. Sie bilden einen komplizierten, schwer zu erklärenden und zum Konzeptualisieren nicht genug geklärten schöpferischen Akt. Wir können uns die Frage stellen, ob dieses Artefakt (seinem Äußeren nach) mit der in ihm angelegten unnachahmlichen philosophischen Inhalt, nicht eine reine Manifestation des Antikonformismus ist, als ob vom Dadaismus beeinflusst. Es existiert eine sichtbare Analogie mit der zehnjährigen Arbeit des hannoveranischen Autors Kurt Schwitters. Seine „Sonata in klanglichen Elementen“ zeigt deutlich den Wunsch des Dadaismus, mit den früheren Formen sozialer Normen zu brechen. Die Kakophonie aus Lärm, Tönen und Rhythmen baut ein vierzigminütiges Klangbild von einem „Rondo“, „Scherzo“ und „Presto“ auf. Die Zusammenfassung des eigentlichen Ideologen der Bewegung, Tr. Tzara, erscheint angemessen: „Stelle Symmetrien und Rhythmen vor, anstatt Prinzipien. Sie widersprechen den existierenden Sitten... Das, was wir feiern, ist zugleich eine Buffonade und ein Requiem“. Ein Requiem für die verlorenen Seelen. Im Einklang mit dem Dadaismus können wir schlussfolgern, dass Jungs irrationale, künstlerische, für mache sinnlose Aktionen und Interpretationen den Weg seines offensichtlichen Nihilismus ebnen. Daher widersprechen seine philosophischen Interessen oft den etablierten christlichen Glaubenssätzen, sie klingen vollkommen absurd aus der Sicht der bewusst und allgemein akzeptierten Begriffe vom Funktionieren des Universums. Ich möchte die Bedeutung von Jungs Arbeit mit den Worten von André Breton illustrieren: „Die Verneinung kann kein Ziel sein, sondern nur ein Mittel zum Lichten eines Terrains, auf dem das Neue aufgebaut wird. Dies ist der natürliche Vorgang bei jeder Revolution“. Ja, aus Sicht der Psychoanalyse und des paradoxen Charakters jener Zeit sind Jungs Überzeugungen nicht nur mutig, innovativ und für ihre Zeit radikal, sonder auch fruchtbar. Sein Verständnis von der Persönlichkeitsstruktur ist jenes begriffliche Verständnis auf diesem Gebiet, welches auch heute einen Einfluss auf die gegenwärtige psychiatrische Praxis ausübt.
Als Fortsetzung des bisher Gesagten ist es keine Überraschung, dass Jung in seinen Aussagen „die Religionen als therapeutische Systeme“ bestimmt und weiter über die Rolle der Therapeuten fortfährt, nämlich: „Wir versuchen, die Leiden des menschlichen Geistes, der menschlichen Seele oder Psyche zu heilen, und die Religionen befassen sich mit demselben Problem. Deswegen ist Gott selbst der Heiler; er heilt die Kranken und befasst sich mit den Kräutern der Seele, und genau dies nennen wir Psychotherapie“. Ich denke, dass für die damalige Zeit dies skandalträchtig geklungen hat. Indem er sich mit den Funktionen der menschlichen Seele befasst, findet der Wissenschaftler die eigentliche Aufgabe des „Rote[n] Buch[es]“ in der Zerschlagung der „bösen Dämonen, die aus dem Unbewussten aufgetaucht sind“. So kann der kreative Geist der gesamten Persönlichkeit wiedergeboren werden und dies stellt das Gebiet des Unbewussten dem bewussten Verstand gleich. Natürlich, aus der Sicht seiner Vorstellungen sieht dies vernünftig aus, aber in den dogmatischen wissenschaftlichen Kreisen sind die Reaktionen, die das Buch hervorruft, dem entgegengesetzt. In der Beschwichtigung und der Integration der Gegensätze – Bewusstsein und Unbewusstem, sieht er die Aufgabe unserer Gegenwart, dort wo die Integration der männlich-weiblichen Polarität entstehen kann. Unabhängig von der angesetzten Patina weckt sein Verständnis von der Gleichstellung zwischen Bewusstem und Unbewusstem eine Polemik. In einer Aussage von Dr. Graham Howie, die in den „Tavistock Lectures“ von 1935 veröffentlicht ist, liest man Folgendes: „Um klar zu sein, Freud ist dreidimensional, und Jung, in seiner gesamten Psychologie, ist vierdimensional“, bezüglich Jungs Verständnis von der Plastizität des Unbewussten und seiner Relativität, d.h. das Umfeld ist äußerst veränderbar, was im Gegensatz zur begrifflichen Deutung (bei Freud) steht, wonach sie einen statischen Charakter hat. Jung meint, dass es ein „relatives Unbewusstes“ gibt und dass es ein assoziatives Experiment wäre zu entscheiden, wo und wie die Grenze zwischen dem Bewussten und seiner Antipode gezogen werden kann. In diesem Fall sagt der Denker „Es müssen einfach die Menschen gefragt werden“.
Indem er sich philosophischen Theorien widersetzt, formuliert er widersprüchliche Thesen mit einer deutlichen soziokulturellen Bedeutung, die bis heute besteht. Das destruktive Konzept, welches im Hinblick auf einige allgemein akzeptierte religiöse Überzeugungen angelegt ist, und die philosophischen Dimensionen der Psychoanalyse situieren ihn am Anfang von neuen Tendenzen in der Psychologie des 20. Jahrhunderts. Jung zeigt in der Praxis, dass der Mensch mit abstrakten Ideen umgehen kann, dass er „ideieren“ kann. Dies äußert sich in der Frage nach etwas, was sich jenseits befindet, im Sinne der Idee vom Verlassen des „Hier und Jetzt“, von einer Hinwendung zum Ideellen. Das Wissen, zu welchem er auf diesem Weg gelangt, befindet sich außerhalb des Rahmens der menschlichen sinnlichen Erfahrung. Er glaubt, dass das Wachsen im eigentlichen Sinne möglich ist, dank dieser Askese besonderer Art und der Unterdrückung der sinnlich bedingten Instinkte und der Entfernung vom realen Leben, durch das Eintauchen in die Tiefen des Unbewussten. Für ihn ist die Spiritualität keine Vernunft, sondern „Selbstbewusstsein“. Der Mensch ist ein Wesen, welches seine lebendigen Triebe in den Geist und den Werten transformiert, die der Geist in uns anlegt. Das Ende dieses Prozesses besteht in der Entfaltung des „Ichs“ und dem Erreichen der Individualisierung des Menschen im Leben. Ich möchte mit den Worten des Denkers enden: „Wir werden nicht erleuchtet, wenn wir uns Lichtfiguren vorstellen, sondern wenn wir die Dunkelheit bewusst machen“. Ich schließe mich an als ein Mensch, der in sich selbst „das Licht“ sucht, und nicht an letzter Stelle als Künstlerin und Hochschullehrerin.
Desislava Deneva, 2021-
Dr. DESISLAVA DENEVA National Academy of Art Sofia Fine Arts Carl Gustav Jung in seiner kunsttherapeutischen Erfahrung von Dr. Desislava Deneva Deutsche Überstzung aus dem bulgarischen Originaltext: Dr. Ivan Popov Edited @ imagofeminae International by: Dr. Desislava Deneva & Dipl.-Psych. Paiman Maria Davarifard imagofeminae # XXXII spring 2022 Redaktion INTERNATIONAL coyright imagofeminae.com ALL RIGHTS RESERVED.